Rumpelofen 1

Es gibt Menschen, die haben eine sonderbare Neigung zum Wahnsinn. Nichts fürchten sie mehr, und nichts zieht sie mehr an. Der Wahnsinn ist Quelle und Untergang ihres Schaffens. Es gibt verschiedene Strategien sich ihm zu nähern. Wer zum Beispiel nach Bagdad fährt ist dem Wahnsinn ganz nah -hautnah. Das hat Vorteile und Nachteile.

Ich mache das anders. Ich sitze im Sessel neben meinem Ofen und rauche oder rauche auch nicht. Ich mache den Ofen auf, werfe ein Feuerzeug rein und setze mich zurück in den Sessel. Ein paar Sekunden später explodiert das Feuerzeug, und der ganze Rotz aus dem Ofen ist nun im Zimmer verteilt. Eine riesige Sauerei ist das. Ich zittere, kaufe Bier, saufe und hoffe, irgendwann schlafen zu können. Ich denke an Krieg, an Bomben, an meinen Vater der vom Krieg nichts erzählt, der noch 1945 im Berliner Zoo war und vor Elefanten Angst hatte. Ich stelle mir vor, wie ich in meinem Kohlenkeller gesessen hätte, ohne Licht auf den Kohlen und Rattennestern, in der schimmligen Luft, und oben brennt Berlin. Ich denke an Elke Erb, die als Kind in der Nähe von Rheinbach gewohnt hat, auf den ersten Anhöhen der Eifel, mit guter Fernsicht bis nach Köln, der Kölner Dom ist zu sehen, denke mir wie sie auf der Wiese am Hang steht und sieht, wie Köln brennt. "Köln brennt" sehe ich die Lippen sagen, und ich sitze in meinem Zimmer voller Asche in meinem Sessel und zittere und saufe und rauche.

Vielleicht könnte auch ich in die Welt gehen. Ich könnte z.B. FENSTERSCHRADE besuchen, um ihm zu zeigen, wie der Ofen funktioniert. FENSTERSCHRADE benutzt seinen Ofen als Sandsack. Er zieht seine Boxhandschuhe an und boxt dann seinen Ofen, der das gar nicht mag und schon ein paar Fliesen lassen mußte. Seit kurzem hat er nun meine Klimmzugstange, die ich nicht benutzt habe, weil ich Angst um den Türrahmen hatte. Er hängt nun einen Sandsack an die Klimmzugstange und haut den Sandsack anstelle des Ofens. Ich könnte also zu FENSTERSCHRADE gehen, den Ofen schön anheizen, und während er neues Bier aus dem Kühlschrank holt schmeiße ich ein Feuerzeug in den Ofen und mache die Ofentür gut zu, und wenn er dann mit den beiden Bierflaschen in der Tür unter der neuen Klimmzugstange steht, explodiert sein Ofen und der ganze Rotz liegt in FENSTERSCHRADES Kabuff herum.

Überhaupt könnte ich mit meinem Tick Lokalterrorist werden. Ich werde der Ofensprenger vom Prenzlauer Berg. Ich besuche diverse Leute, und in einem unbeobachteten Moment werfe ich ein Feuerzeug in den Ofen und verdrücke mich oder warte auf irgendwelche Reaktionen. Das würde durchaus meinem Temperament entsprechen, denn ich liebe Öfen. Ich habe auch einen Stock mit einem Stock daran, mit dem ich versucht habe die verwinkelten Züge im Ofeninneren zu ertasten, was nicht gelungen ist. Es gibt da auch so einen Griechen, an den ich mich erinnere. Er heißt Antonio Samarakis und hat ein Buch geschrieben das "Die Notbremse" heißt. Da läuft ein Typ herum und wirf Scheiben ein, einfach so. Das Buch habe ich natürlich nicht gelesen, da ich Bücher, die mich interessieren, schon seit Jahren nicht mehr lese. Zu gefährlich!

Da FENSTERSCHRADE jemand ist, der seinen Ofen eher von außen demoliert, ist es vermutlich besser, ihn nicht unnötig zu reizen. Es wäre ohnehin unfair, denn er ist ein sehr friedlicher Mensch, und man sollte bei der Auswahl seiner GEGNER mit Vorsicht und viel Gefühl vorgehen, zumindest wenn man die Wahl hat. Und außerdem kann er ja nun wirklich nichts für meine kleinen Vorlieben.

In meiner Kindheit gab es mal so einen Witz mit einem Elefanten, einer Giraffe und einem Kühlschrank. Wie bekommt man einen Elefanten in den Kühlschrank? Kühlschranktür auf - Elefant rein - Kühlschranktür zu. Und wie eine Giraffe? Kühlschranktür auf - Elefant raus - Giraffe rein - Kühlschranktür zu. Und einmal habe ich in der U-Bahn auf einem riesigen Plakat einen Poesiewitz gelesen: Augen auf - Welt rein - Augen zu. Dann kommt das Würgen und Kotzen und raus kommt: siehe da - ein Gedicht. Bei mir geht das so: Ofen auf - Feuerzeug rein - Ofen zu. Raus kommt ein riesiger Haufen Gedärme im Ascherotz und oben drauf ein bibberndes Herzchen. Tja, es kann gefährlich sein, neben seinem Ofen zu sitzen! Bagdad oder Berlin, kurz ist beides nur B. wer will dann schon einen Unterschied machen. Der Wahnsinn ist ganz nah, man kann sogar im Sessel sitzen bleiben.

Berlin 2004
Achim Wendel