Rumpelofen 14

Wenn der Frühling kommt und die Heizsaison zu Ende geht, sehne ich mich nach der Zeit im Mai, in der sich die übertriebene Lust und Tatenseligkeit mit Trägheit und Faulheit verbinden und ich gelassen neben dem Ofen sitzen darf um nichts zu tun und nichts wollen zu müssen. Ich kenne niemandem, dem es geling, nach Herzenslust faul zu sein. Es scheint, das Faul sein dem Herzen gar keine Lust ist oder keine sein darf. Faul sein ist vielmehr etwas, das man sich gestattet, nachdem man etwas geleistet hat, und die Leistung wird zur moralischen Instanz für die Phasen der Faulheit, die im Allgemeinen Urlaub genannt werden und die im Dienste der Regeneration der Kräfte stehen die benötigt werden um seine Pflicht zu erfüllen und zu Arbeiten. Seit nun mehr sechseinalb Jahren sitze ich neben meinem Ofen im Sessel und tue fast nichts. Gearbeitet habe ich kaum, eher Bier getrunken und geraucht, und dennoch habe ich nicht den Eindruck faul gewesen zu sein. Während ich im Sessel saß wollte ich immer aufstehen um genau die Dinge zu erledigen die mir bei meinen Grübeleien wichtig geworden sind. Ich versuchte tricks wie „Soh!“ zu sagen und die Hände auf die Lehnen zu stemmen um auzufstehen, was nichts half, denn der Gedanke an die Tat ließ mich ermatten. So saß ich Jahrelang im Sessel, mit diesem „Soh“ im Magen, das sich manchmal bis zum Kehlkopf vorkämpfen konnte, doch die Stimmbänder nicht erreichen wollte. Ohne dass ein Wort gesagt wurde wollten meine Hände sich nicht auf die Lehnen stützen und ich blieb sitzen, bis sich der Schwung wieder verflüchtigt hatte. Ich vermute, das dieses o doch zu kurz ist, um mich wirklich in Schwung zu bringen. Das o, als Stimmhafter Vokal, öffnet eine Luftschleuse die ganz unten im Magen beginnt, den Rachen ganz weich und weit werden lässt und im Mundraum die Schwingungen der Stimmbänder schwelgerisch schmecken lässt. Der Verschluss, den das Ausrufezeichen setzt, also der Punkt, der eigentlich gesetzt werden soll, wie ein Zeitpunkt, an dem es Losgeht, kommt hart und früh und frisst die ganze Pracht des offenen os in sich hinein, presst in einem Augenblick alles zu einem Olivenkern den ich schlucke und so weit es geht verdaue, und ich mich schäme noch ein mal den Mund aufmachen zu wollen. Doch das ganze Spiel um das offene O und das abwürgende Ausrufezeichen spielt sich im Magen ab, so als ob im Magen die Buchstaben geformt werden, bevor sie Kehlkopf, Mudhöle und Stimmband erreichen, und das, was tatsächlich gesagt wird, nur ein Wiederkauen dessen ist, was das Rumoren im Magen nicht in sich zu halten vermag. Ich vermute, das mein Magen ein Monster ist, das seit jahren versucht, die Idee des offenen Os zu verdauen, das wie eine Gasperle in den Verdauungssäften auf und absteigt ohne an die frische Luft zu gelangen.

Wenn ich neben dem Ofen sitze ist es nur natürlich zu glauben, dass auch er solche Kämpfe führt und die Zirkulation der Luft im Innern des Ofens ist ein Quell der Wärme ist, die mich an ihn indet.. Die Buchstaben ganzer Romane stelle ich mir in den auf und absteigenden Luftströmen vor, ohne allerdings an harte Konturen und Druckerschwärze zu denken, eher an Buchstabensuppe, deren Buchstabennudeln langsam zu Brei werden und ihre Form verlieren. Im Ofeninnern scheinen die Buchstaben an eben jener Grenze zu ihre Ausdifferenzierung zum Alphabet zu stehen. Mitunter lausche ich, wenn ich glaube, etwas von dem, was im ofeninnern vor sich geht, vernehmen zu können, und mal ist es wieder nur die Ahnung einer Vibration, die ich als Resultat der Zirkulation wünsche, so als wäre es ein Strom, in dem die Buchstaben sich finden können, wenn es an der Zeit für sie ist, und so lange bereiche der Luft sind, die kein Wort erkennen lassen.

Jetzt, im Frühling, wünsche ich mir, das auch die Pflanzen im Aquarium endlich wachsen wollen. Sie leiden sehr an dem harten Wasser. Die Wasserhärte saugt das Kohlendioxid auf, das die Pflanzen zur Photosynthese brauchen. Um dennoch wachsen zu können, müssen sie der Härte das Kohlendioxid wieder rauben. Die Rache ist eine Kalkschicht auf den Blättern der Pflanzen, die sie langsam verkrusten lässt. Meine Versuche, einzugreifen, waren wenig erfolgreich. Ich habe eine Flasche mit einem Schlauch daran gebastelt, in die ich Wasser, Zucker und Hefe gegeben habe, was zu Kohlendioxidbildung führt. Am ende des schlauchs, durch den das Gas drückt, befindet sich ein zerstäuber, der aus den einzelnen Gasblasen feine Perlen macht, die sich noch bevor sie die Wasseroberfläche erreichen im Wasser lösen. Ich liebe es diesen Perlen zuzusehen und wünsche mir mein O aus dem Bauch in diesen Schlauch stecken zu können, damit es ebenfalls als Gasblase an die Membran gelangt und feinperlig im Aquarienwasser verschwindet. Vielleicht wird das Auarium im Sommer den Ofen ablösen, und statt den Fischen werde ich den Blasen und Perlen der Hefegäranlage zusehen und hoffen, das ich der Verkrustung der Blätter endlich Herr werden kann.

Der Frühling wirkt wie ein Zerstäuber. Statt einen großen Kloß zwischen Magen und Kehlkopf pendeln zu lassen sind die Ansätze zur Aktivität feingliedriger, filigran, allgegenwärtig und perlen in den Säften wie Kohlensäure beim Öffnen der Sprudelflasche. Der Moment der Diffusion greift um sich, und in diesem Stadium wird der Nachmittag im Sessel bei geöffnetem Fenster zum Vergnügen. Die Fliegen kommen rein und sausen und jagen unter der Deckenlampe, die ich nun für ein paar Stunden am Tag nicht einschalten werde. Dieser Zustand des Gärens, der wildes treiben zu fordern scheint macht dennoch träge und faul, denn die Aufbruchsstimmung, die in den Säften perlt, genügt sich selbst, und ich kann gelassen im Sessel sitzen und mich der Lust nach Taten hingeben, die so unbestimmt und so überwältigend ist, dass ein Schläfchen am Nachmittag das einzig richtige bleibt. So macht mich der Frühling zum Schläfer, und ich hoffe dabei jedes Jahr ein stück reifer und stärker zu werden.

Es ist Unsinn zu glauben ein Schläfer sei ein Terrorist. Wenn ich ein Terrorist wäre müsste ich meinen Ofen unter den Arm packen, auf meinen Fahrradanhänger binden, zu den Allee-Arcaden ziehen, mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock fahren, neben einem der neuen Ledersessel abladen, eine Zeitschaltuhr in Gang setzen, mich in den Sessel setzen und darauf warten dass der Ofen explodiert. Es würde mir gefallen zu sehen wie die Auslagen in den Geschäften durch die Gegend fliegen, die Ladenbesitzer fluchen und die uniformierten Sicherheitsbediensteten Versuchen mit ihren Funkgeräten für Ordnung zu sorgen. Ich verfolge allerdings eine humanere Strategie. Ich komme zu den Leuten nach hause und sprenge die Öfen gleich dort, die Alleearcaden bleiben verschont. Es ist auch nicht so, dass ich neben dem Ofen sitze und angespannt auf einen Einsatzbefehl warte. Ich sitze sitze dort und hoffe immer entspannter zu werden, immer ruhiger und fauler, bis die Faulheit eine derartige Kraft entfalten konnte, dass ich mich auf die Straße traue.

Faul oder angespannt neben dem Ofen zu sitzen ist ein geradezu klassisch idealistischer Akt von Bildung. Die Vermutung, es könne Leben im Ofen stecken, und deshalb sein Ohr an die Kacheln zu halten um zu lauschen was in ihm vorgeht, ist ein optimistische Blick auf das, was im Verborgenen liegt und vermeidlich die strippen zieht. Letztendlich wird gar nichts gesagt. Die paar Brocken, die Worten ähneln, sind wie aus der Buchstabensuppe im Spiel mit der Gabel oder heimlich mit dem Finger zusammengelegte Begriffe, die nicht der Rede wert sind. Das, was im Dialog mit dem Ofen Bestand hat, ist der Moment, in dem die Sprache zu diffusieren scheint, in dem nicht klar ist, ob bereits etwas gesagt wurde oder ob man umsonst lauscht und hofft etwas verstehen zu können. So ist auch der Dialog mit dem Ofen mal verworren und mal klarer, wie ein in sich diffusierender Begriff der Diffusion, bei dem nicht klar ist, ob er dem Ofen oder meinem Gemüt erwächst. Diesem Moment der Diffusion, der als Moment selbst diffus ist, durch Sprengung des Ofens ans Licht zu fördern, ist kein Akt der Revolution, sondern die Geburt des anarchischen, in dem die Sprache dem Ofen, als Ding an das ich mich lehnen kann, am nächsten kommt, und wenn ich lange genug gewartet habe, wird diese vermeidlich den Untergang einleitende Anarchie, mit der ich in den Stuben des Prenzlauer Berges auf Tournee gehen möchte, von frühlingshafter Reife zeugen. Es mag vermessen sein, dem Ofen Geist andichten zu wollen oder ihn gar als Wohnstätte für dies und jenes auszumachen. Tatsache ist, dass der Ofen wärmt, wenn ich ihn heize, und die Steine, aus denen der Ofen gesetzt ist, sind echt. Jeder kann kommen und sich überzeugen, ich werde Tee kochen und Plätzchen auf den Tisch stellen und ein Schwätzchen halten, und streicheln darf man meinen Ofen auch, sollte jemand es nicht glauben wollen. Und so echt ist auch die Geburt der Dinge, die der Ofen mir vor die Füsse wirft, mögen es auch gar die selben sein, die ich zuvor in ihn hinein geworfen habe. Ofen sprengen ist ein anarchischer Akt, die Geburt des anarchischen aus dem Geiste des Ofens, und ich kann nichts dafür wenn das Material das sich zeigt zu irritationen führt oder die Wucht der Explosion gar derart in die Glieder fährt das das Zittern das bibbern der Kälte überlagert. Es kann nicht schaden zu wissen welche Macht hinter vermeidlich sicherer Ordnung verborgen liegt.

Mein Wirt sagt, ich soll auf dem Nachhauseweg an der Ampel auf die roten und die grünen Männchen achten. Ich habe beobachtet wie dieses Spiel funktioniert. Die Leute schauen so lange auf das rote Männchen, bis das rot erlischt und das grüne Männchen leuchtet. Dann senken sie ihren Blick und schauen auf ihre Füsse. Und dann erst laufen sie los. Genauso funktioniert der Ofen. Ich sitze neben dem Ofen, werfe allerhand zeug in ihn hinein, und wenn ich ihn sprenge um endlich zu wissen was in ihm vor sich geht oder weil mir der Dialog mit ihm entschieden zu lange dauert, wirft er mir alles wieder vor die Füße. Ich senke meinen Blick, öffne das Fenster und laufe los. Und morgen gehe ich in die Kneipe um dem Wirt zu erzählen, was ich erlebt habe. Ich laufe nicht weg, wird er mir sagen, während er mir das erste Bier hinstellt.

Achim Wendel, März 2008