Rumpelofen 3

Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriff, wie der Ofen funktioniert. Der Typ, der vor mir hier wohnte, hat mir zwar ein paar Hinweise gegeben, aber was genau zu tun war, wusste ich nicht. Er sagte was von Papier und von Holz, das ja überall herumläge, und dass man damit schon recht weit käme, wenn man kein Geld hat. Ab und zu ging ich in den Keller und schaute mir die paar Kohlen an, die dort noch rumlagen, einfach so, mitten im Sommer. Ich wollte mich mit ihnen vertraut machen und mich ihrer vergewissern. Irgendwann im September konnte ich nicht mehr warten. Ich wollte es wissen. Ich warf nacheinander Papier, Holz und Kohlen hinein und saß gespannt im Sessel. Der Ofen wurde langsam warm und am nächsten Tag wieder kalt. Das war alles.

Als es tatsächlich kalt wurde, lernte ich meinen Ofen besser kennen. Ich experimentierte mit den Klappen herum. Oben die große Klappe machte ich nun immer zu, sobald genug Glut in den Kohlen war, und die untere Klappe ließ ich auf, sodass Luft von unten durch den Rost an den Kohlen vorbeizog. Anfangs ließ ich die Klappe weit auf, sodass die Kohlen schnell Glut bekamen und schnell verglimmten. Mit der Zeit lernte ich es, den Luftstrom zu dosieren, und irgendwann machte ich dann den Ofen komplett zu sobald die Kohlen schön glühten. Ich wurde ruhiger und gelassener. Das Heizen ging immer schneller, und ich schaute nicht ständig nach wie es im Ofen aussieht, und stocherte auch nicht mehr in den glühenden Kohlen herum. Ich arbeitete nur noch mit der unteren Klappe und verließ mich darauf, dass im Ofen alles wie immer abläuft.

Ich begann meinen Ofen zu lieben. Es war keine heiße Liebe, die stürmisch beginnt und immer ruhiger wird, vielmehr ein vorsichtiges Herantasten, mit dem Ziel, sofort in der ruhigen Phase anzukommen. Wenn ich in meinem Sessel neben dem Ofen sitze, denke ich oft an ein älteres Ehepaar, das zusammen Fernsehen schaut und sich gegenseitig wärmt, wobei gar nicht so klar ist, wer jetzt der Mann und wer die Frau ist. Es könnte auch sein, dass ich die Frau und der Ofen der Mann ist, es ist ganz gleich, wichtig ist nur, dass der Ofen wärmt, und das kann er, dafür sorge ich schließlich. Ich denke oft daran wie es im Ofen aussieht, ich denke daran wie die wenige Luft, die durch die Ritzen an die glühenden Kohlen gelangt, langsam an ihnen vorbeigleitet, sie umfließt und ihnen schmeichelt, sich dabei erwärmt, aufsteigt, sich durch die Züge bewegt, dabei langsam abkühlt, eventuell wieder absinkt, und erneut zu den Kohlen zurückkehrt um sich erwärmen zu lassen. Ich denke dabei an Ströme oder Luftpakete, vielleicht so was wie die Luft von Atemzügen, was natürlich Unsinn ist, denn vermutlich lässt sich die Luft im Ofen gar nicht in Bereiche trennen, deren Weg sich verfolgen lässt. Es ist nur so, dass ich es mir nicht anders denken kann, und so wie ich es mir denke, gefällt es mir, ich gestatte mir diese Vorstellung einfach, auch wenn es in Wirklichkeit im Ofen ganz anders aussieht. Sobald ich die Klappen öffne, verfliegt dieses Luftbild ohnehin, es lohnt sich also gar nicht nachzuschauen. Ich wusste nicht alles von ihm und dennoch war er mir vertraut.

Als es kälter wurde und das Heizen eine ernstere Angelegenheit war, gab es dennoch Probleme. Oft war es so, dass ich es versäumte zu heizen, weil ich betrunken im Bett lag oder schlechte Laune hatte, was dazu führte, dass das Zimmer auskühlte und ich mich mit Jacke und in eine Decke gehüllt neben den kalten Ofen setzte und so viel Bier trank bis es mir egal war, dass es kalt ist. Manchmal ging ich doch noch in den Keller, holte neue Kohlen und heizte ordentlich ein. Der Ofen wurde heiß, aber das Zimmer blieb kalt. Danach musste ich mich richten. Das Zimmer zog sich immer weiter zusammen, es blieb der Raum um den Ofen und den Sessel, bereits der Tisch, auf dem das Bier stand, war außerhalb dieses Bereichs, und wenn ich mich mit der Hand dem Aschenbecher näherte um ab zu aschen wurden mir meine kalten Finger bewusst. Ich hätte es schön haben können. Ich hätte nur täglich heizen müssen, vielleicht zweimal täglich, wenn der Frost zu stark war, es hätte keine Probleme gegeben, aber es war nicht zu machen, es funktionierte einfach nicht, so wie noch nie ein Plan funktioniert hatte das Leben in den Griff zu bekommen. Wenn ich nun so neben dem Ofen saß, der oft heißer war als eigentlich nötig, lehnte ich mich an etwas, das mir entglitt, das ich immer nur in Schüben zu fassen vermochte, aber das reichte nicht, um die kalten Mauern meines Zimmers zu erreichen.

Immer wieder kam es dazu, dass ich aufräumen wollte. Ich sammelte die Kleidung ein, die auf dem Boden herumlag, warf die Weinflaschen und Bierdosen in einen Müllsack und räumte die Pfandflaschen und das schmutzige Geschirr in die Küche. Dann machte ich den Ofen auf und warf alles, was mir zuwider war, hinein, Prospekte, Zettel, Müll, volle und leere Zigarettenpackungen, all das, was eigentlich schon den Radius um Ofen und Sessel verlassen hatte. Das, was mir entglitt, wollte ich tilgen, und so meinen Einflussbereich erweitern, was natürlich Unsinn war, denn ich schuf nur Platz für neuen Unrat. Der Wunsch, es mir mit meinem Ofen gemütlich zu machen, schaffte Raum für Illusionen, die sich als Kontinuität tarnten, denen ich zugleich verfiel und die ich durchschaute. Der Kampf um Kontinuität und die Niederlagen waren es dann, was eigentlich die Beziehung zu meinem Ofen bestimmte, ein Kampf um den Schein, der nicht weit reichte, und von dem ich dennoch nicht lassen konnte.

An einem dieser Tage, an denen ich es mal wieder mit der Ordnung versuchen wollte, kam es dazu, dass ich das Feuerzeug in der Hand hielt, nachdem ich schon den Tabak und die Zigarettenstummel in den Ofen geworfen hatte. Ich hielt es, und dann war es schon im Ofen. Es war ein leichter Wurf, so, als würde man ein Bonbon hineinwerfen. Mir war klar was kommen würde, und ich wartete, weniger auf den Knall als vielmehr darauf, wie die Explosion auf mich wirken würde. Ich zitterte, kaufte neue Zigaretten und betrank mich. Selbst damit hatte ich gerechnet. Der Versuch, das Leben zu ordnen, war allerdings beendet, und ich hatte keine Lust einen weiteren Versuch zu starten. Die Erschütterung war so stark, dass es nicht gelang, sich durch Ordnung abzulenken. Ich war fassungslos. Das, was bisher half, die Fassung zu wahren, war mir soeben abhanden gekommen. Ich saß nach vorne gebeugt im Sessel, die Arme auf den Oberschenkeln verschränkt, und wartete darauf, wieder an irgend etwas zu denken, irgendetwas, das als Anfang taugt.

Florian meint, eine Liebe die das Leben nicht durcheinander bringt, taugt nichts. Vermutlich hat er recht. Ich sollte meinen Ofen nicht in solche Geschichten hineinziehen. Mittlerweile hat sich das Verhältnis zu ihm entspannt. Ich heize ihn oder ich heize ihn nicht. Auf der Armlehne des Sessels, die an den Ofen stößt, steht nun ein Heizlüfter. Wenn mir nach warmer Luft ist, stelle ich ihn an und er bläst und summt eifrig. Das gefällt mir. Es gefällt mir so gut, das ich ihn auch anschalte, wenn es gar nicht nötig ist, einfach so, um mich ein wenig bepusten zu lassen. Meine Versuche, das Leben zu ordnen habe ich immer noch nicht aufgegeben. Aber ich lasse den Ofen dabei aus dem Spiel. Seit ich den Trick mit dem Feuerzeug kenne, komme ich gut mit ihm klar.

Achim Wendel, März 2007