Rumpelofen 5

Einmal hat mir jemand gesagt, dass ich in meinen Geschichten zu häufig die Wendung „ich stelle mir vor“ benutze. Es ist in Geschichten sicher so üblich, dass man sich etwas vorstellt, dennoch ist es sonderbar, dass ich ausgerechnet in meinen Geschichten ausdrücklich darauf hinweise, dass ich mir etwas Vorstelle, denn meine Phantasie reicht nicht weit, es gelingt mir kaum eine Geschichte weiter zu spinnen, weiter, als ich sie erlebt habe. Ich befürchte dass meine Vorstellung von Vorstellungen ganz grundsätzlich versaut ist, wenn es nötig ist gesondert darauf hinzuweisen, dass ich mir etwas Vorstelle, und zwar nicht nur irgendeinen Gegenstand, den ich anfasse und sehe, so wie es ein Philosoph macht, wenn er von Vorstellungen spricht, sondern eine Geschichte erfinde. Ich möchte mich hier und heute von Vorstellungen verabschieden, ich habe es satt, mir etwas vorzustellen, einen Tisch, einen Baum, guten Sex oder meinen Ofen. Ich werde es in Zukunft anders machen. Statt mir etwas vorzustellen stehe ich selber auf und stelle mich vor etwas. Ich weiß nicht ob diese kleine Wendung im Wort schon alles auf den Kopf stellen wird, oder eben auf die Beine, je nachdem, aber so möchte ich beginnen, so weit mein Plan.

Wenn ich mich in meinem Zimmer umschaue ist alles um mich herum von Menschen erzeugt, die Mauern, die Dielen, die Wand, ich habe sie selbst gestrichen, die Bilder, das Bücherregal von Ikea, die ganzen Bücher, die Gardinen meiner Oma, der Schreibtisch, der Computer, der Ofen, der Sessel, alles was ich sehe ist ein Stück Arbeit. Auch die Wörter in den Büchern hinter mir hat jemand geschrieben, indem er Buchstaben nebeneinander setzte. Was fällt mir eigentlich ein wenn ich einfach in meinem Sessel sitze, neben meinem Ofen, und nichts tue? Nur das Nachrichtenradio läuft um meine Gedanken zu überlagern. Ich sitze und höre dem Börsenspezialisten zu wie er von Fusionspläne und Aktienkurse berichtet und wie er andere Spezialisten Interviewt, die ich nicht mag, obwohl ich sie nicht kenne, so wie ich überhaupt die Börse und das Nachrichtenradio nicht mag. Alles was ich tue dient dazu mich zu fixieren, mich im Sessel zu halten, neben dem Ofen, der wärmt, damit ich nicht zittere wenn ich friere. Ich schränke mich immer weiter in der Umgebung der erarbeiteter Dinge ein und lösche mich in meiner Wohnung so gut es geht aus, grade mich, den einzigen Gegenstand, der die Wahl hat, aufzustehen, herumzulaufen und etwas in die Hand zu nehmen. Wenn ich darüber Nachdenke bekomme ich Kopfschmerzen. Meine Verbundenheit zu den Gegenständen in meinem Zimmer geht so weit, dass ich in allem etwas wieder zu finden glaube das mit mir zu tun hat. Ich denke in Wahrheit gar nicht so sehr an die Herstellung der Gardienen, sondern daran, wie mein Vater auf die Leiter stieg um sie anzubringen, wie ich auf dem Flohmarkt Gardinenringe kaufte, braune und weiße, braune für die braunen dicken Gardinen und weiße für die leichten durchlässigen. Wenn ich jetzt hochblicke zur Gardinenstange sehe ich wieder das der eine Braune Ring an die weiße Gardine geraten ist. Ich bemerke meine Unruhe, fasse den Vorsatz endlich eine Leiter zu leihen und den Ring auszutauschen, und dann warte ich das der Vorsatz wieder verschwindet, dass mein Blick auf andere Dinge fällt, die mich in Ruhe lassen, die die Unruhe besänftigen, diese Unruhe die mich im Bann hält, diese hab acht Stellung, dieses ständige Anspannung, sobald ich es wage die Augen zu weit zu öffnen, sobald die Wörter kommen, der Flüstersrom, der die Sinne umgarnt, der immer ein Detail findet, irgendetwas, das zu erledigen ist, das das Bild stört, den Frieden raubt, mir die Sachen um mich herum verleidet, den Staub in den Ecken findet und mich tiefer in den Sessel presst, näher an den Ofen heran.

Das Gespinst, das dieses ganze Sammelsorium in meinem Zimmer zusammenhält, die ganzen Wege, die ich lief, um die Sachen zusammen zu tragen, das Netz, an dessen Fäden ich mich orientiere, all die Erinnerungen, die eigentlich wohlige Vertrautheit mit der Wohnung vermitteln könnten, geistern durch meinen Kopf, durch die Windungen des Hirns, wie klumpige Farbe am Pinsel eines Malers, die nicht dafür taugt, ein Bild zu zeichnen, das nicht verstört. Wenn ich mich umsehe dann sind diese Verstrickungen im Kopf tatsächliche Verstrickungen, solche, die das Leben für jeden Menschen parat hat, Verhältnisse, die nicht mehr zu rekonstruieren oder zu durchschauen sind, und deren Macht sich immer und immer wieder zeigt. Selbst in meinem Ofen wähne ich solche Verstrickungen, ich versuche mir ein Bild von den Luftzirkulation zu machen und folge den Strömen im Gedanken um die Kohlen und durch die Züge, die verstopft zu sein scheinen, denn der Ofen zieht nicht richtig. Ich kann nicht sagen ob ich nur Abbilder schaffe und in allem was ich in die Hand nehme die Verstrickungen reproduziere, oder mich in einem Bild wiederfinde, einem Bild, das in jedem Detail sein ganzes Wesen zeigt, einem Bild, das Geltung fordert, dazu gehören will zur Welt der Dinge, so das es nur nahe liegt, wenn der Ofen es ist, an dem alles zusammenkommt, so wie die Luftströme im Zimmer und in seinen Zügen durch den kleinen Haufen glühender Kohlen bestimmt wird, so, als ob der Ofen auch so ein Ding ist das denkt, das noch die Wahl hat, das Einfluss hat auf das was vor sich geht, und das von Freiheit träumt wenn die Luft mit der Glut der Kohlen spielt.

Heute nun soll der Tag sein an dem ich mich von meinen Vorstellungen verabschiede, von ihnen und von dem Kopfschmerz, dem stumpfen pulsieren des Hirns, als sei es ein großer schmerzender Zahn. Mit einer grammatikalischen Wendung hat es begonnen, nicht ich stelle mir etwas vor, sonder ich stelle mich vor etwas, und zwar vor meinen Ofen, ich werfe alles hinein, all die Dinge die meinen Sinnen aufstoßen, diese Details, die mich verzehren und die sich immer wieder als der verzwickte springende Punkt erweisen. Ich mache den Ofen auf und werfe alles hinein, so, wie ich es schon oft beschrieben habe, all die springenden Punkte, und noch bevor das Denken einsetzt, vor jeder Vorstellung davon was passieren wird, liegt das Feuerzeug in der Glut, einer der springenden Punkte, einer, der es machen wird, denke ich, einer, der sprengt, vielleicht den ganzen Ofen sprengt, vielleicht auch nur die Züge durchpustet damit er wieder gut zieht und heizt und der Kohlenmonooxidgeruch aus meinem Zimmer verschwindet, der Punkt, der die Auseinandersetzung einleitet, die ich immer gescheut habe, der Punkt, der in dem Versuch, ihn zu vernichten, seine Macht zeigt. Endlich ist es soweit, ich habe eine Tat vollbracht, die in die Zukunft weist, die zur Auseinandersetzung zwingt, die die Revolution einleitet, eine Tat, die der Vorstellung von Ihrer Wirkung überlegen ist.

Die Vorstellung, ein Gespenst zu verjagen, in das man sich selbst verkleidet hat, führt zu Verstrickungen, die sich nicht einfach lösen lassen, und der Rat, nur das Tuch vom Kopf zu ziehen, ist leicht gegeben. Was soll das Gespenst dazu sagen? Nachdem das Feuerzeug im Ofen explodiert ist liegt der ganze Müll vor meinen Füssen, mit einem Knall sind die ganzen fiesen Details wieder da, angekokelt und widerlicher als je zu vor, und mein Zittern geht auf eine Art durch Mark und Bein dass es nicht klar ist, wovor ich mich eigentlich fürchte. Diese Furcht ist stärker, eine Furcht, die keinen Namen mehr hat, keinen Halt an einer halbverbrannten Bananenschale. Vielleicht ist es grade die Furcht, dieses Detail, an das die Furcht sich binden ließe, verlohen zu haben, denn das Feuerzeug ist futsch, zersplittert, explodiert eben, so, wie das bei allen Bomben ist.

Der Ofen weiß nichts von meinen Spinnereien. Er wirft mir bei der Explosion alles vor die Füße was ich zuvor in ihn hineingeworfen habe, so, als sei dies die Lektion die es zu lernen gilt, wenn man klare Verhältnisse will. Ich zittere und sammle den schwelenden Dreck auf, werfe ihn zurück in den Ofen, zittere weiter, rauche, trinke, denke an Krieg, nicht an Revolution, warte bis es aufhört, bis das Zittern aufhört, dieses Zittern, von dem ich glaubte, ein Börsenfachmann im Radio könnte es unter Kontrolle halten. Revolution lehrt das Fürchten, scheint es mir. Die Vorstellung, als Ofensprenger Revolutionär zu werden, gefällt mir dennoch, eine Ausgeburt des Wahnsinns zwar, aber eine Geburt, ein Anfang, einer, der fällig war.

Achim Wendel, Mai 2007