Die Frau, die den Punk nicht kennt

Vor zehn Jahren fragte mich mal eine Frau in die ich verliebt war und die in mich verliebt war ohne das wir das wussten auf einer Party „was hörst Du denn so für Musik?“ und lachte mir dabei ins Gesicht, und es war klar, dass wir über etwas anderes reden werden, über etwas, das uns näher bringt, und dennoch ist es so das diese Frage zu dem Programm gehört das zwischen zwei Menschen abläuft die sich kennen lernen, genau wie die scheuen Blicke, die zufälligen Berührungen, das gegenseitige Betrachten der Handinnenflächen und das gemeinsame Starren auf einen Punkt irgendwo im Raum und in der Zukunft, wo bereits alles ausgemalt ist.

Heute sitze ich im Kaffee Burger vor dem DJ-Pult auf der Stufe, neben mir sitzt eine Frau die ich vor kurzem kennen gelernt habe, wir schauen gemeinsam den Tanzenden zu, und ich mache so die üblichen Sondierungen und genieße es ihr Knie an meinem zu spüren. Es ist halb zwei, die Leute kommen so langsam in Fahrt. Wir sprechen über Musik. Ich erzähle von meiner Plattensammlung, wie ich in den letzten Jahren meine musikalische Pubertät nachgeholt habe, spreche von teuren Krautrockplatten und NDW-Labels, Zickzack und Atatak, von ebay und Plattenbörsen und Flohmärkten und dem Fluch der Sammelwut, und wie ich einen Hass auf das alte Zeug bekommen habe und nun sogar wahllos Elektronikplatten kaufe, und da sagt sie es, einfach so, mit ende dreißig, sie habe noch nie Punk-Musik gehört. Die Sex Pistols kennt sie, aber sie weiß nicht wie das klingt. Schließlich komme sie aus einer bayrischen Kleinstatt, genau wie ich.

Ich hatte die Zukunft schon wieder im Auge, irgendwo da hinten an dem Tisch in der Ecke, wohin sich die Pärchen zurückziehen, die sich das gegenseitige Antanzen gefallen lassen. Doch jetzt muss ich an den Brunnen in der kleinen Einkaufsstraße in Füssen denken, an die Kinder die ich dort kannte, und an die jungen Burschen, die entweder um die Wette Klavier spielten oder Schi fuhren, aber die alle keine Punker waren. Die nächst gelegene Stadt, die für mich schon eine richtige Großstadt war, war Kempten, dort gab es einen Mc Donald´s, aber keine Punker. Und auch in der größten Stadt die ich kannte, nämlich Bonn, habe ich nie welche gesehen. Ich weiß auch gar nicht ob mir Punker aufgefallen wären, denn es war nicht nur so das ich nie welche sah, ich wusste auch gar nichts von Punks und das es sie geben könnte. Später, in Rheinbach bei Bonn, gab es Mädchen die sich dunkel oder lila kleideten, ich neckte sie ein wenig deswegen, aber von Punks wusste ich immer noch nichts. Mein erster Kontakt mit Punkmusik war in Stamford irgendwo in der Mitte von England, wo ich ein paar Wochen bei einer englischen Familie wohnte. Einmal machte eine Schulclique einen Aussflug, und als wir durch die Wiese liefen, auf der ich ab und zu die beiden Möpse der Familie ausführte, holte sich einer der Jungs ein Dosenbier aus dem Rucksack und gab mir seinen Walkman und bat mich etwas zu seiner Musik zu sagen. Ich gab ihm den Walkman zurück, und er bot mir einen Schluck Bier an. Ich fand damals Madonna sexy. Das habe ich aber niemandem verraten. Sex Pistols hörte ich das erste mal in einer Kaserne in Kerpen. Ein schmieriger dicker Kerl hatte einen Kassettenrecorder und ein paar Kassetten. Er bat mich in seine Stube und machte das Ding an, ganz leise, damit wir uns unterhalten können. Ich konnte ihn nicht leiden. Irgendwann mit Mitte zwanzig kaufte ich mir „Never Mind the Bollocks“ auf einem großen Bonner Flohmarkt für ein paar Mark, es folgten die Ramones, Damned, Dead Kennedys und ein paar Dutzend andere, und irgendwann hatte ich einen groben Überblick über das, was ich verpasst haben könnte. In Bonn gab es Punks. Vermutlich Kinder reicher Eltern, die sich am Brunnen am Kaiserplatz trafen, direkt neben dem Hofgarten an der Universität, mit Blick auf das Schloss. Sie bettelten nicht und waren friedlich. Nur einmal versuchte ich es mit dem Punk, kurz nach Mitternacht, an Silvester, nach der Knallerei. Ich legte eine Platte auf und drehte am Lautstärkeregler. Der Freund von früher wartete einen Moment, stand auf, schaute sich den Plattenspieler an, drückte einen Knopf, und die Nadel erhob sich. Damals hatte ich noch Plattenspieler mit Automatik. Heute hätte er die Nadel von Hand abheben müssen, denn ich habe mir zwei Technics MK2 gekauft, echte DJ-Klassiker, die ich liebe und nicht mehr missen möchte.

Jetzt sitze ich neben dieser Frau, die den Punk nicht kennt. Ich frage mich, was bei ihr schiefgelaufen ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, das Menschen immer komplizierter werden je besser man sie kennt, und wenn man sich nach langen Jahren trennt, hält man den Partner reif für Die Klapse. In Kaufbeuren, nördlich von Füssen, gab es eine Geschlossene. Kaufbeuren wird überdacht, hieß es immer. Ich war nie in Kaufbeuren. Aber in der Klapse war ich. Natürlich nachdem sich meine Freundin von mir getrennt hat. Sie hat meine Schallplatten gehasst.

Die Frau mag die Musik die der DJ auflegt. Sie tanzt fast im sitzen, wippt mit den Beinen und dem Oberkörper, und manchmal nimmt sie kurz die Arme hinzu. Ich rutsche ein wenig nach rechts um ihr Luft zu lassen. Dann spricht sie von One Night Stands, mir wird warm dabei, und dann zeigt sie auf die Ärsche die ihr gefallen. Sie hat ein kräftiges, durchaus dreckiges und spöttisches Lachen, das einen gewissen Zynismus in Liebesdingen verrät, ein Lachen das alles begräbt, was sich beim Flirt als feines Gespinst entwickelt. Sie sei schüchtern, sagt sie. Dann tanzt sie, wild, locker, seit einem Jahr nicht mehr, wie sie mir berichtete. Sie kann es. Sie sucht sich einen aus, die Arme umschlingen den Hals des Typen, ich beobachte die Tanzspiele, den üblichen Wechsel von Nähe und Distanz, bis es reicht, bis sie sich zurückziehen, an den Tisch, an die Bar. Sie kommt noch mal bei mir vorbei, spricht mir ins Ohr: „so geht das“ sagt sie. Sie sitzen auf den Hockern, trinken und fassen sich an. Ich sehe wie sie sich küssen. Dann sind sie weg.

Im Gedanken gehe ich meine Plattensammlung durch. Ich überlege, den DJ zu bitten das nächste mal „God Save the Queen“ aufzulegen. Manchmal legt er sowieso Songs auf die die Tanzfläche leer fegen, warum also nicht mal so was. Ich könnte ihr ein Mixtape machen und etwas zu den einzelnen Stücken erzählen. Vielleicht hat sie gar kein Kassettendeck mehr und hat alle Kassetten die sie in ihrer Jugend aufgenommen hat entsorgt. Was sie wohl auflegt, bevor sie in die Küche geht um dem Typen einen Kaffee zu kochen oder Sekt aus dem Kühlschrank zu holen, für den Moment in dem er alleine auf dem Sofa sitzt und auf sie wartet? Auch dazu würde mir ein Mixtape einfallen.

In zwei Wochen werde ich sie fragen wie es gelaufen ist, und sie wird fragen ob ich Details wissen will. Eigentlich will ich nur den richtigen Soundtrack kennen, das würde mir schon reichen. Seit Jahren suche ich nach den richtigen Platten und reize meinen Dispo aus bis nichts mehr geht. Mir fällt ein wie ich in Nobbis Plattenladen zwischen 35000 Platten stehe und mal wieder ein paar Stunden auf seinen Laden aufpasse. Die Platte die Nobbi aufgelegt hat bevor er ging läuft in der letzten Rille. Eine schräg gekleidete Frau blättert New Wave Platten durch, und ich weiß nicht was ich auflegen soll. Ich schäme mich. Ich drehe die Platte um und setze mich auf den Hocker hinter der Registerkasse.

Vor mir tanzt ein Mädchen, das grade gekommen ist, mit Haaren die bis zum Po gehen. Sie ist schön. Ich will nach Hause, meine Pillen einwerfen und schlafen gehen. Vielleicht höre ich zum Einschlafen noch eine Seite Nick Drake. Überhaupt glaube ich, das ich für die stillen Momente die beste Musik habe, für Momente, in denen das Gespräch ins Stocken kommt, und im angespannten Schweigen die Musik in den Vordergrund tritt, die bisher eher unaufdringlich im Hintergrund lief, die aber nun überrascht und vielleicht sogar gefangen nimmt, und das weiterführt, was im Gespräch ungesagt bleiben muss. Ich bin kein Punk. Vermutlich werde ich kein Mixtape machen. Vielleicht ist es besser wenn die Frau den Punk nie kennen lernt. Sie könnte das Tanzen verlernen, so wie der Tausendfüssler, den man fragt wie er beim Laufen seine Beine beherrscht, ins stolpern gerät. Mit Fachgesprächen bin ich bisher immer gescheitert. Ich mag die Frau, die den Punk nicht kennt. Sie ist schön, so wie sie ist.